Die Neusalzaer Scharfrichter – ein Oberlausitzer Pitaval

Die Neusalzaer Scharfrichter – ein Oberlausitzer Pitaval

Wo verblieben das Neusalzaer Richtschwert und das Spremberger „Sühnekreuz“ von 1697?

Mit der Gründung der Stadt Neu-Salza, später Neusalza, im Jahre 1670 entstand in seiner weiteren Entwicklung folgerichtig auch das Gerichtswesen. Bereits der adlige Stadtgründer Christoph Friedrich von Salza (um 1605-1673) stiftete am 2. Januar 1672 das Gerichtsbuch für Neu-Salza. Am 12. Juni 1673 trat der politische Rezess bzw. die Stadtverfassung in Kraft, wobei unter Punkt 7 u. a. formuliert ist: „Dieweil auch keine Stadt-Obrigkeit ohne Gerichte oder Gerichts-Zwang seyn und bestehen … kann (und) diese Städtlein aber auf des von Salza Lehnsgrund und Boden erbauet … hat die Herrschaft sich, ihren Erben und Nachkommen die Ober-Gerichte sich ausdrücklich vorbehalten. Die Erbgerichte aber dem Rathe dergestalt überlassen und eingethan.“ Im August des gleichen Jahres folgte eine Gerichtsordnung, die auf der „kurfürstlich-sächsischen Gerichts-, Polizei- und Taxordnung“ aufbaute. Damit in Verbindung wurde auch eine „Scharfrichterei“ geschaffen, deren Inhaber über einhundert Jahre in Neu-Salza wohnten und walteten.
Scharfrichter oder Henker als „Organ der Strafrechtspflege“ lassen sich in Deutschland bis ins Mittelalter, ins 13. Jahrhundert, nachweisen. Ihnen oblag die Vollstreckung der im Urteil vom Gericht bestimmten Strafe, bis hin zum Foltern und Hinrichten mittels Schwert und Strang. Wir moderne Menschen empfinden die „Arbeit“ dieser Gesellen des blutigen Handwerks – auch Frauen waren darunter - sicherlich als gruselig. So ist es nicht verwunderlich, dass sich um sie auch zahlreiche Sagen und Legenden bildeten. Scharfrichter hatten sich in ihrer Kaste gar einer Art „Meisterprüfung“ zu unterziehen und erhielten danach einen entsprechenden „Befähigungsnachweis“. Die Vertreter dieses „Berufsstandes“, die sich seit dem Mittelalter schließlich zu „bestellten und besoldeten Amtsträgern der Gerichtsherren“ etablierten, umhüllte ein Nimbus des Geheimnisvollen. Sie waren bei der Bevölkerung sowohl gefürchtet als auch verfemt, galten aber als „Wunderheiler“, da sie über gewisse anatomische und medizinische Kenntnisse verfügten. Eine „Scharfrichterei“ ging immer nur an einen Nachfolger dieses „Berufsstandes“ über. In den städtischen Schänken stand extra für sie ein Tisch parat. Heiraten war nur innerhalb der Familien dieses „Gewerbes“ möglich.
Heute ist kaum noch bekannt, dass es in kurfürstlich-sächsischer Zeit auch in der kleinen Oberlausitzer Stadt Neu-Salza (heute Neusalza-Spremberg) vom letzten Viertel des 17. bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts Scharfrichter bzw. Henker gab. Bereits im ersten „Verzeichniß der Grundstücksbesitzer und Wirthe anno 1677“ des Städtchens, also sieben Jahre nach seiner Gründung, ist ein Scharfrichter namens Hans Christian Rein aufgeführt. Um diese Zeit erwarb der Henker für sich und seine Familie ein Haus mit Grundstück für 40 Taler, die er bis Ostern 1676 abbezahlte. Beides erbte nach dessen Tode seine Witwe, die damit ihren Lebensunterhalt sicherte. Nach den Forschungen von G.H. Schulze (1873, 1917) und G. Leupolt (2004) soll es sich dabei um das Areal an der Bautzener Str. Nr. 16 handeln, auf dem 1864 das spätere Postamt Neusalza-Spremberg entstand.
Die Randlage dieses Terrains stand damit in Übereinstimmung mit dem Kodex jener Zeit, dass sich Scharfrichter bzw. Henker analog anderer deutscher Städte abseits der städtischen Zentren, in diesem Falle des Ober- und des Niedermarktes, anzusiedeln hatten. Für die Scharfrichter oder Henker gab es wie in anderen Städten auch in Neusalza einen eigenen Kirchenstand und zwar in der hiesigen „Dreifaltigkeitskirche“ der Exulanten, um sie von den übrigen Mitgliedern der Gemeinde abzuschotten. Da weitere schriftliche Überlieferungen zu dem Scharfrichter H. Chr. Rein fehlen, ist zu schlussfolgern, dass während seiner Zeit unter den Einwohnern Neu-Salzas keine schweren kriminellen Delikte auftraten, die gerichtlich etwa mit Stäupen, d.h. an den Pranger gefesselt, öffentlich ausgepeitscht und zur Schau gestellt zu werden, oder gar mit dem Tod durch Köpfen oder Hängen hätten geahndet werden müssen. Derartige Vorkommnisse wären sicherlich schriftlich festgehalten worden. Die Situation in Neu-Salza sollte sich bald ändern.
Für das Jahr 1686 ist nämlich ein „Gerichtsdiener“ in der Stadt nachweisbar, der die Aufgaben eines Scharfrichters erfüllte: Martin Abraham Vogel. Im gleichen Jahr, am 22. Oktober, wurde „… nach eingeholten Urtheil, Michael Kästner, ein Handdrucker von Liebenau, welcher Ort zwischen Leipzig und Merseburg liegt, so sich einige Zeit bey Adam Ginzel, Einwohner allhier, aufgehalten und 41 rh (=Rheinische Gulden, L.M.) Geld gestohlen, zur Staupen geschlagen, so aufn Marckte an der Staup-Säule von dem damahligen Gerichts-Diener Martin Abraham Vogel mit 3 Ruthen und 21 Streichen (also Auspeitschen, L.M.) geschehen, und aus hiesigen Gerichten verwiesen worden.“ Das bedeutete, dass der bestrafte Michael Kästner zugleich den Gerichtsbezirk Neusalza auf unbestimmte Zeit zu verlassen hatte. Acht Jahre später, im Jahre 1694, geriet mit den Gesetzen in Konflikt, da er als Verheirateter ein Verhältnis mit der ledigen Tochter des Neu-Salzaer Einwohners Sebastian He(n)tschel pflegte und sie schwängerte. Er kam deshalb in Arrest, konnte sich jedoch daraus befreien und fliehen. Seine Geliebte musste jedoch büßen und wurde. Die Flucht Keulichs könnte die Gerichtsherrschaft und Stadtobrigkeit aufgeschreckt und bewirkt haben, einen neuen Scharfrichter zu suchen, den sie 1696 auch fanden. Es war der „Meister seines Faches“ Abraham (Hans) Wilhelm Vogel. Es lässt sich dabei nicht entscheiden, ob beide Vogels verwandt oder nur Namensvettern des gleichen „Berufsstandes“ waren. Jedenfalls wurde der neue Henker vom Rat der Stadt Neu-Salza für mehrere Jahre angestellt und demzufolge hier ansässig. Darüber hinaus verrichtete er seine „Arbeit“ auch in der Umgebung. Während Vogels Anstellung in Neu-Salza von 1696 bis 1702, vollstreckte er vier Todesurteile durch Hinrichtung: 1697 eine Enthauptung, 1699 zwei durch den Strang und 1700 ein.

Wie kam es dazu?

Dem Städtchen Neusalza standen am Ende des 17. Jahrhunderts als Bürgermeister die Herren Johann Moritz Herrmann, zuvor Tuchmacher, und danach Christoph Rößner, der Oberälteste der Schuhmacher-Innung, vor. Als Grund- und Gerichtsherrin herrschte seinerzeit über Neu-Salza die Tochter des Stadtgründers, Lucretia Hedwig von Salza, später Gräfin v. Nostitz. Unter ihrem Regiment kam es zu sozialen Spannungen in der Kleinstadt bis hin zum Aufstand, da ihr Bevollmächtigter Johann Asmus v. Engelschaar zu Sohland die Bürger Neu-Salzas „gar sehr bedrückt und in ihren Rechten gekränkt“ hatte. Das bedeutet aus heutiger Sicht, dass die Neusalzaer Bürger damals über die Maßen ausgebeutet und unterdrückt worden sind. Die Chronisten vermerken eine Zunahme von schweren kriminellen Straftaten, so Todschlag oder Mord und insbesondere Diebstähle. Die Justiz schlug jedoch hart zurück.
Am ersten Sonntag nach dem kirchlichen Feiertag Bartholomäi, dem 24. August 1697, fand in dem Jahr zum vierten Mal Jahrmarkt in Neusalza statt. Viele Neusalzaer, Spremberger und weitere Bewohner der umliegenden Dörfer waren daher auf den Beinen. Auf dem Weg zum Markt begegneten sich auf Spremberger Flur – bei Rainbauers Gut - ein gewisser Andreas Schubert, der vorgab, Scharfrichtergeselle bei Vogel zu sein, und der sorbische Knecht Johann Pordan (nach anderer Mitteilung Jordan) aus Rascha bei Bautzen, der damals beim Ebersbacher Richter diente. Pordan befand sich in Begleitung seines Vaters. Schubert, der ein Pferd mit sich führte, bot es Jordans Vater zum Kauf an. Der Sohn riet dem Vater jedoch vom Kauf des Pferdes ab. Es kam zu einem heftigen Streit, der nicht unbemerkt blieb und eskalierte. Plötzlich zückte Schubert seinen „entblößten Degen“ und stach den wehrlosen Knecht nieder, so dass er zusammenbrach und in Rainbauers Haus getragen werden musste, wo ihn alsbald der Tod ereilte. Die herbeigerufene Neusalzaer Marktwache war schnell zur Stelle und nahm Schubert, der zu entkommen versuchte, fest. „Der Thäter ist von der Jahrmarckts-Wache … arretiret, ins Stock-Haus gebracht, in Klein-Stock geleget und geschloßen worden.“ Nach erfolgter Untersuchung unter Vorsitz des Gerichtshalters von Spremberg und Neusalza, Advokat Christian Keilpflug aus Bautzen, erging das Urteil: Tod durch Enthauptung, und „Meister Vogel“ waltete im November jenen Jahres seines Amtes. Er richtete Schubert mit dem Schwert auf dem Obermarkt unweit der „Röhr-Bütte“ hin. Anschließend wurde dessen Körper in einen Sarg gelegt und außerhalb des Neu-Salzaer Friedhofs begraben. Aufschlussreich war dabei die Aussage der Frau des Hingerichteten, die etwa einen Monat nach der Exekution bezeugte: „ daß derselbe kein Scharfrichter, sondern ein Hufschmied aus Oederan (war) und in einem Dorfe bei Nossen zwei Pferde gestohlen habe, wobei das eine in Cunewalde bereits gefallen sei “ Das einst von Schubert zum Verkauf feilgebotene Pferd „… wurde von der Gerichtsherrschaft für die aufgewendeten peinlichen Unkosten in Anspruch genommen. Dem Erstochenen wurde … bei Rainbauers Gute in Spremberg ein Kreuz von Sandstein gesetzt“. An anderer Stelle ist dazu überliefert: „Zum Andenken hat … (der) Vater seinen Sohn Johann Pordan einen auf seine Kosten ausgearbeiteten Sand-Creuz-Stein setzen lassen, den Nahmen, den Tag und das Jahr, wann die That geschehen, darauf eingehauen“. Dieses steinerne „Sühnekreuz“, das letztmalig 1870/72 schriftlich Erwähnung fand, gilt seither als verschollen. Darauf komme ich später zurück.
In den Jahren 1699 und 1700 trat der Neu-Salzaer Scharfrichter Wilhelm Vogel erneut in Aktion. Die Bürger Elias Bergmann, Leineweber, und Martin Heydel, Zimmermann und Maurer, die mehrere Diebstähle in der Umgebung, zumeist in Lawalde, begangen hatten, flogen schließlich im Dezember 1699 auf. Sie wurden festgenommen und das Diebesgut beschlagnahmt, danach in Neu-Salza verhört und schließlich nach gerichtlicher Ermittlung überführt. Der Richterspruch lautete für beide: Tod durch den Strang. Die Hinrichtung am Galgen vollzog Scharfrichter Vogel aber nicht in Neu-Salza, sondern im Dorf Lawalde, der Besitzung des Herrn von Rodewitz, die von den Dieben am meisten heimgesucht worden war. So heißt es darüber in der Überlieferung: „… beyde nach Lawalde … bei Löbau gelegenen … Dorffe abgefolget, und daselbst nach vollführter Inquisition (=Untersuchung, L.M.) und eingeholten Rechts-Spruche May 1700 beyde mit dem Strange vom Leben zum Todte gebracht …“ Ihre Frauen, die Mitwisser waren, kamen mit der Ausweisung aus dem hiesigen Gerichtsbezirk davon. Bergmann und Heydel hatten während der Vernehmung im Dezember 1699 außerdem einen dritten Mittäter genannt – den Neu-Salzaer Maurer Friedrich Schwade, nach anderer Überlieferung hieß er Schwadebach. Nach Heydels Aussage war Schwade ebenfalls an dem gemeinsam begangenen schweren Diebstahl im Laden des Kaufmanns Schluckwerder in Löbau beteiligt gewesen und hatte dafür einen Anteil von 60 Talern kassiert. „Friedrich Schwade , ein allhier wohnender Haus-Mann und Maurer, auf welchen Martin Heydel beym Verhör ausgesaget … daß er mit Schwade in Löbau … einen Laden erbrochen, und daraus allerhand Waaren stehlen helfen … und sein Antheil atl 60 Thllr werth bekommen“. Die Justiz nahm weiter ihren Lauf. Auch Schwade wurde in „Hafft gebracht, mit der gehörigen Inquisition wieder selber verfahren, und nach eingehohlten Urtheil, Anno 1700 May allhier … mit dem Strange von Leben zum Todte gebracht “
ie Exekution, die wiederum Hans Wilhelm Vogel vornahm, fand auf dem heutigen „Stadtberg“ (367,5 m) Neusalza-Sprembergs an der Rumburger Straße statt, die ins benachbarte Böhmen führte. Es kann diesbezüglich auch davon ausgegangen werden, dass im Vorfeld der vier überlieferten Hinrichtungen durch den Henker die Folter, obwohl nicht bezeugt, zur Anwendung kam. Auf dem seinerzeit namenlosen Berg wurde extra für Schwade der Galgen errichtet, weil er dort damals weithin sichtbar war. Die städtische Richtstätte blieb seit dem als „Galgenberg“ lange Zeit im Gedächtnis der Neusalzaer und Spremberger haften, bis sich der Name „Windmühlenberg“ und später „Stadtberg“ einbürgerte. Mit dieser sicherlich letzten Hinrichtung in Neu-Salza war nach den Überlieferungen noch etwas Sonderbares verbunden, „ … nach dem derselbe (der Hingerichtete, L.M.) kaum 8 Tage gehangen, ist er von Galgen weggekommen, ohne zu wißen, wo er geblieben“. Dreißig Jahre später, um 1730, fand der Färber Noack, der einen Acker unweit des Galgens besaß, beim Wegräumen eines Steinhaufens, menschliche Knochen, die auf den Gehenkten schließen ließen. Der städtische Galgen verfiel im Laufe der Zeit, so dass heute nichts mehr an diese makabre Stätte erinnert.
Aus welchen Gründen auch immer reichte Scharfrichter Vogel 1702 beim Rat der Stadt Neu-Salza sein Abschiedsgesuch ein, der ihm am 27. März des gleichen Jahres folgendes beglaubigte: „Daß obbemeldeter Meister Hanß Wihelm Vogel in die sechs Jahre als ein Scharfrichter allhier gewohnet, und sowohl für sich und die seinigen, fromm, ehrlich, aufrichtig, treu seinem Stande gemäß, und dergestallt wie einem rechtschaffenden Scharfrichter eignet und gebühret verhalten, unter wehrender Zeit einem mit dem Schwerte und einem mit dem Strange allhier vom Leben zum Tode gebracht, auch auswertig zu dergleichen Verrichtungen sich gebrauchen lassen (so in Lawalde, L.M.), und jedesmahl das seine rühmlich verrichtet hat.“ Der Quellenlage ist jedoch zu entnehmen, dass es nach H.W. Vogels Weggang aus Neu-Salza einen weiteren Scharfrichter gegeben hat, einen gewissen Oette. „Anno 1745, 3. März, ist des hiesigen gewesenen Scharff-Richters Wittwe Susanne Oettin gestorben, welche 7. ejusd (desselben Monats, L.M.) von 6 Einwohnern aus Spremberg auf hiesigen Kich-Hoff getragen worden.“ Die Neusalzaer Scharfrichterei war auch in der Oetteschen Familie erblich. Noch im Jahre 1839 erscheint ein gewisser Conrad Oette, der die Tätigkeit als „Kaviller“, das so viel wie Feldmeister oder Abdecker bedeutet, ausübte.
Schwere kriminelle Delikte musste der wohl letzte Neusalzaer Henker anscheinend nicht mehr sühnen, dafür mehr zwischenmenschliche Problemfälle abstrafen, die wir in heutiger Zeit und im modernen Sprachgebrauch als „Fremdgehen“ bezeichnen würden. Zwei Vorfälle dieser Art aus der Frühzeit Neu-Salzas sollen dazu stellvertretend genannt werden: „Am 9. Februar 1723, also am Fastnachtsdienstage, hat der Schuhmachermeister Christoph Gottlob Rößner den Leinwandhändler Johann Christoph Müller, als er spät abends vom Bier nach Hause gekommen ist, dasselbst bei seinem Weibe im Bette angetroffen und ihn unter Beibringung mehrerer Stich- und Schnittwunden zur Treppe hinunter gestürzt. Als er dies andern Tags zur Anzeige gebracht, hat sich Müller von Neusalza geflüchtet, Rößners Weib Dorothea, geb. Klezkin, wurde aber zum Staubbesen (die Stäupung, L.M.) verurtheilt und des Landes verwiesen, doch wurde letztere Strafe auf Bitten und Ansuchen ihrer Verwandten in Zuchthausstrafe verwandelt.“ An anderer Stelle wurde überliefert: “Anno 1724 May hat Peter Mosichs hinterlaßene Wittib (Witwe, L.M.) allhier bei gerichtl. Verhör zugestanden, daß sie 8 oder 9 Wochen nach ihres Mannes Tode mit einem Ehemann Gottlob Scholze, einem Müller aus Spremberg, Hurrerey und Ehebruch getrieben und von selbigem schwanger worden (und) beyden durch Urtheil und Recht eine Landes-Verweisung zuerkannt worden, welche Straffe aber, nach dem beide Defension (juristische Verteidigung, L.M.) geführet, und besonders die letztere in Ansehung ihrer unerzogenen Kinder ... in 8 wöchentliches Gefängniß verwandelt worden.“ Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Anno 1743 insgesamt sechs jüngere Frauen, ledige Töchter und Schwestern, darunter aus angesehenen Neusalzaer Familien, so des Stadtrichters, Gerichtsdieners und Kantors „zu Falle gekommen“, das nichts anderes bedeutet, dass sie unehelich geschwängert worden waren. Der Skandal in der kleinen Stadt war „… als etwas besonderes angemercket worden.“ Aber die lokale Justiz, einschließlich des Scharfrichters, beschäftigte sich anscheinend damit nicht, da darüber keine weiteren Nachrichten vorliegen. Es mussten rund 150 Jahre seit der letzten Hinrichtung in Neu-Salza Anno 1700 vergehen, bevor seit dem Jahre 1851 in allen deutschen Landen die öffentlichen Hinrichtungen aufgehoben wurden. Die körperliche Strafe des Stäupens fand wahrscheinlich als eine der letzten Fälle in Berlin 1853 ihren Abschluss, die eine Frau wegen Meineids betraf.
Leider fehlen im Rahmen dieser bisher kaum behandelten lokalgeschichtlichen Problematik Nachrichten darüber, wo das Richtschwert der Neu-Salzaer Scharfrichter verblieb? In anderen sächsischen Städten und weiteren deutschen überdauerten diese „Werkzeuge“ die Zeit in Museen, so in Leipzig, Meißen, Görlitz, Bautzen und Zittau. Die Richtschwerter waren keine gewöhnlichen Schwerter, die als Waffe Verwendung fanden, sondern wurden für scharfrichterliche Zwecke in „genormten“ Maßen, so einer Länge von bis zu 0,90 m, und einer Breite von ca. 0,05 m mit abgerundeter Spitze, von speziellen Schmieden angefertigt. Diese schweren Schwerter zeichneten sich durch einen besonders scharfen Schliff aus und mussten zweihändig geführt werden. Da die Kleinstadt Neu-Salza im Gegensatz zu den anderen genannten Städten von weitaus geringerer Bedeutung war, kann davon ausgegangen werden, dass sich die Kommune finanziell kein eigenes Richtschwert leisten konnte, sondern die von ihr angestellten Scharfrichter das teure „Rüstzeug“ selbst erwerben mussten und mit zu bringen hatten.

Wie zuvor bemerkt, erinnerte an die schreckliche Tat von 1697 ein Sühnekreuz aus Sandstein auf Spremberger Flur, konkret bei Rainbauers Gut. Die letzte Nachricht darüber erschien 1870/72. Seitdem sind 140 Jahre vergangen, und heute fehlt jede Spur. Wo verblieb das seltene Flur- und Rechtsdenkmal?
Außerdem bleibt offen, wo befand sich „Rainbauers Gut“ in Spremberg?
Weitere Nachforschungen des Verfassers erbrachten nur ein winziges Indiz. Der Neusalzaer Textil-Unternehmer Traugott Leberecht Hünlich (1814-1882) vermerkte in seinen „Erinnerungen … aus Neusalza“, die er zu seiner Zeit niederschrieb und die erst 2010 in Neusalza-Spremberg veröffentlicht wurden, einen „Winkler, der Rainbauer“. Die „Winklers“ wiederum waren und sind eine alteingesessene Spremberger Familie von nicht geringer Bedeutung, deren Wurzeln bis zum Jahre 1668 zurückreichen, als ein Winkler aus dem Dorf Spremberg als kurfürstlich-sächsischer Salzhändler bezeugt ist. Da kam mir in dieser Hinsicht mein Schulfreund und späterer Kriminalbeamte Eberhard Winkler, alteingesessener Neusalza-Spremberger, gerade recht, da er genealogische Studien betrieb.
Er äußerte sich dazu so: „Irgendwann in dunkler Vergangenheit wurde ` Winklers Feldrain` von der Gesamtfläche abgeteilt und als `Ausgedinge` fortgeführt. Wenn es ein Sühnekreuz gegeben hat, wird es schon irgendwohin geraten sein. Untergeackert kaum …. Vielleicht stand an der jetzigen B 96 das Sühnekreuz, wo Kuhnerts Wohnhaus hin gebaut wurde. Vielleicht haben die es weggeräumt, weil sie nichts von dessen Bedeutung wussten“. Es wäre aber auch denkbar, dass es durch geschichtsbewusste Mitbürger vor geraumer Zeit auf dem alten Spremberger Gottesacker auf dem Kirchberg, seinem Nachfolger am Hutzelberg oder dem Neusalzaer Friedhof auf dem Lindenberg gelangte und dort seiner Wiederentdeckung harrt!
Die Geheimnisse um die Neusalzaer Scharfrichter sind noch nicht gänzlich aufgeklärt.
Der Beitrag basiert vor allem auf dem „Historischen Bericht über die Stadt Neu-Salza von 1768, mit Ergänzungen bis 1777“ von Carl Gottlob Hohlfeld, kurz „Hohlfeld-Chronik“, bearbeitet und übertragen von Siegfried Seifert, Lawalde 2002,
und den „Geschichtlichen Nachrichten über die Stadt Neu-Salza … 1870/72“ von August Adolph Tuchatsch, kurz „Tuchatsch-Chronik“, Reprint, Neusalza-Spremberg: M. Voigt 2000.
Autor: Dipl.-Hist. Lutz Mohr, Greifswald, korrespondierendes Mitglied der IGO Neusalza-Spremberg, im Oktober 2011